Die heutige Linke, selbst viele Strömungen, die sich marxistisch-leninistisch nennen, sind in weiten Teilen vom Ultraprogressivismus durchdrungen. Gemeint ist damit nicht der reale, historische Fortschritt, den die Arbeiterbewegung erkämpft hat – bessere Lebensbedingungen, soziale Sicherheit, Bildung für alle –, sondern eine bürgerliche Ideologie, die sich als „links“ tarnt. Dieser Ultraprogressivismus setzt nicht auf den Klassenkampf, sondern auf einen endlosen „sozialen Fortschritt“ im bürgerlich-liberalen Sinn: identitätspolitische Kleinkriege, kosmopolitische Abstraktionen, grenzenlose Globalisierung, ein künstlicher Kulturbruch mit den eigenen Traditionen, aggressive Feindseligkeit gegen jede Religion und gegen jede Form von Patriotismus. All das wird als vermeintlich „revolutionär“ verkauft, ist in Wirklichkeit aber eine Ablenkung vom zentralen Kampf: der Befreiung der Arbeiterklasse vom Kapitalismus.
Marxismus-Leninismus ist keine modische Haltung, keine Lifestyle-Frage und schon gar nicht das Anhäufen immer neuer, moralisch aufgeladener Einzelforderungen. Er ist eine wissenschaftliche Weltanschauung der unterdrückten Klasse – eine Methode, die Welt aus der Sicht des Proletariats zu verstehen und zu verändern. Jede Forderung, jede Position muss danach beurteilt werden, ob sie den Kampf der Werktätigen gegen das Kapital stärkt oder schwächt. Die ultraprogressive Agenda tut Letzteres: Sie spaltet, sie entfremdet die Arbeiterbewegung von breiten Teilen des Volkes und sie ersetzt Klassenpolitik durch moralistische Identitätspolitik.
Wer behauptet, dass der Marxismus zwangsläufig „ultra-progressiv“ sein müsse, der kennt entweder die Geschichte nicht oder will sie bewusst verfälschen. Die großen sozialistischen Bewegungen der Vergangenheit – ob Sowjetunion bis 1953, China unter Mao, Kuba in seiner revolutionären Phase – waren weder konservativ im reaktionären Sinn noch bürgerlich-progressiv. Sie haben konservative Werte, die der Volksgemeinschaft dienten, proletarisiert: Familie, nationale Selbstbestimmung, kulturelle Tradition, die Würdigung der eigenen Geschichte. Reaktionäre Elemente wie Unterdrückung von Frauen, Chauvinismus oder religiöser Fanatismus wurden bekämpft, aber der gesunde Kern dieser Werte wurde nicht zerstört, sondern in den Dienst der Revolution gestellt. Patriotismus war selbstverständlich – nicht im Sinne nationalistischer Überheblichkeit, sondern als Liebe zum eigenen Volk, verbunden mit dem Respekt vor den Völkern der Welt. Religion wurde kritisiert, aber nicht zum alleinigen Feind erklärt; die Frage war immer, ob eine Haltung die Einheit des Volkes stärkt oder schwächt.
Der Ultraprogressivismus hingegen ist eine Waffe der Bourgeoisie. Er predigt „Fortschritt“ in Fragen, die für das alltägliche Leben der Arbeiterklasse zweitrangig oder gar spaltend sind, während er die entscheidende Front – den Kampf gegen Kapital und Imperialismus – aus den Augen verliert. Er gibt vor, „internationalistisch“ zu sein, ersetzt aber den proletarischen Internationalismus, der auf Solidarität der Völker beruht, durch einen entgrenzten Globalismus, in dem nationale Souveränität und Selbstbestimmung als altmodisch oder gar gefährlich gelten. Er gibt vor, gegen Unterdrückung zu kämpfen, zerstört aber durch endlose Moralisierung und Gesinnungsprüfungen jede breite Einheit im Volk. Das Ergebnis: Die Linke isoliert sich, Arbeiter und Bauern wenden sich ab, und der Boden für reaktionäre Kräfte wird bereitet.
Wir müssen den Unterschied zwischen proletarischem Fortschritt und bürgerlichem Fortschritt klar ziehen. Proletarischer Fortschritt bedeutet, die Produktionsverhältnisse im Interesse der Arbeiterklasse zu verändern, den Reichtum des Landes zum Nutzen der Werktätigen einzusetzen, die politische Macht in ihre Hände zu legen. Bürgerlicher Fortschritt hingegen kann Fortschritte in bestimmten Bereichen bedeuten – neue Freiheiten, gesellschaftliche Veränderungen –, ohne den Kern der Klassenherrschaft anzutasten. Der Ultraprogressivismus ist in diesem Sinn zutiefst bürgerlich: Er rüttelt an kulturellen Fragen, während die Eigentumsverhältnisse unangetastet bleiben. Im schlimmsten Fall dient er als Nebelwand, hinter der sich der Kapitalismus modernisiert und festigt.
Echte marxistisch-leninistische Politik beginnt nicht bei modischen Parolen, sondern bei der Realität der Arbeiter und Bauern. Sie fragt: Was stärkt die Klasseneinheit? Was untergräbt die Macht der Bourgeoisie? Was bereitet den Weg zur Machtergreifung des Proletariats? In diesem Sinn dürfen wir nationale, kulturelle und soziale Bindungen nicht verachten, sondern müssen sie proletarisch gestalten. Das bedeutet: Ja zur Verteidigung der eigenen Kultur gegen imperialistische Zersetzung, ja zur Pflege der Geschichte der Werktätigen, ja zur Einheit aller, die vom Kapital unterdrückt werden – unabhängig von Herkunft, aber verbunden durch gemeinsame Interessen.
Wenn wir den Ultraprogressivismus unkritisch übernehmen, lösen wir die Arbeiterbewegung in ein Sammelsurium isolierter Szenen und Subkulturen auf. Wenn wir stattdessen zu authentischer Klassenpolitik zurückkehren, können wir wieder zur Kraft werden, die in der Lage ist, das ganze Volk zu führen. Sozialismus ist keine modische Haltung und kein moralisches Prestigeprojekt – er ist der Weg zur Befreiung der Mehrheit der Menschen auf dieser Erde. Wer ihn ernsthaft will, muss sich vom bürgerlichen Ultraprogressivismus trennen und zum Klassenstandpunkt zurückkehren.
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